WIR MÜSSEN DIESE KÄMPFE SICHTBAR MACHEN

Von Araba Evelyn Johnston-Arthur

1996 war das Gründungsjahr von Pamoja, Bewegung der jungen afrikanischen Diaspora in Österreich. Und 1999 war ein Jahr des politischen Aufbruchs für die Schwarzen Communitys in Wien. Wir haben uns als Netzwerk der Afrikanischen Communities gegen rassistische Polizeigewalt organisiert, uns mobilisiert, sind auf die Straße gegangen, haben eine Mahnwache organisiert und im Parlament protestiert. Das war damals für uns das Gefühl eines politischen Neubeginns. Ich habe das deutlich gespürt und auch meinem Vater begeistert davon erzählt. Ich habe ihm gesagt: Zum ersten Mal gehen Schwarze Menschen hier in Österreich vereint und selbstbewusst auf die Straße, um gegen institutionalisierten Rassismus zu protestieren! 

Mein Vater korrigierte mich und erzählte mir, dass es schon in den 1960er Jahren eine panafrikanische Bewegung in Wien gab, die sich öffentlich gegen Alltagsrassismus und institutionellen Rassismus zur Wehr gesetzt hat. Die prominenteste Präsidentin der Pan African Student Union of Austria (PASUA) war damals die nigerianische Studentin Unokanma Okonjo. Dieses Movement hatte ein aktives transkontinentales Netzwerk. Bei PASUA waren auch Lehrlinge und Krankenschwestern in Ausbildung organisiert. PASUA war gemeinsam mit afrikanischen Studierendenorganisationen in Großbritannien, Bulgarien, Ungarn, Ost- und West Deutschland, Italien, Polen, Frankreich, Rumänien, Tschechoslowakei und Jugoslawien auch Teil von der Union of African Students in Europe. Eine wichtige Konferenz dieser Union fand 1964 in Moskau statt. Es scheint ein tiefes, anti-imperialistisches politisches Selbstverständnis gegeben zu haben. Teil davon war eine beeindruckend starke, in der Selbstorganisierung gelebte Third Word Solidarität. Diese Studierenden sahen sich selbst, wie Unokanma Okonjo es sinngemäß in ihrer Rede bei der Konferenz in Moskau sagte, als Säulen eines aufstrebenden, vereinten, freien Afrikas. In Österreich gab es die Union Ausländischer Studierender in Österreich, Vorsitzender war Nosar Hashemi – dort waren progressive Studierende aus dem Iran und aus verschiedenen arabischen Ländern organisiert, PASUA war ein zentraler Teil. Und was ich auch über meinen Vater erfahren habe: Es gab schon damals laute, öffentliche von Third World Studierenden in Österreich geäußerte Rassismus- und Diskriminierungskritik und auch Kritik an politischer Überwachung. Das alles gestärkt durch den Aufbruch der Dekolonisierung, durch das anti-koloniale „world making“ der Bewegungen der globalen Mehrheit, die dafür gekämpft haben, die internationale Ordnung zu transformieren.

Und das alles fand in noch deutlich größerem Umfang auch in Deutschland statt. Diese Leute waren die Elterngeneration vieler derjenigen, die später die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) gründeten. Sie waren im Rahmen einer Bildungsmigration nach Almanya im Bewusstsein der ihnen vermittelten Verantwortung gekommen, Teil einer Generation des Wiederaufbaus eines dekolonisierten Afrikas zu sein. Die panafrikanische Bewegung verband die Befreiungsbewegungen auf dem Kontinent mit denen in der Diaspora und bestärkte sie gegenseitig. Auch unter den Gründungsmitgliedern von PASUA finden sich zum Beispiel African-Americans. Mir ist klar geworden: Es ist in dieser Zeit unglaublich viel passiert, was aber in der Erinnerung – auch zwischen den Generationen – so gut wie gar nicht überliefert ist. Warum haben uns unsere Elterngeneration die Erinnerung an diese Kämpfe nicht weitergegeben? Hier darf nicht vergessen werden: Die antirassistischen, panafrikanischen Kämpfe und Kritiken dieser Generation wurden drastisch gesilenced. Es war die Zeit des Kalten Krieges und Aktivist*innen wie Unokanma Okonjo und William Unodi Bright-Taylor wurden zum Teil verdächtigt kommunistische Agenten zu sein, verhaftet und aus Österreich abgeschoben. Aber nicht ohne lautstarken lokalen und internationalen Protest! Die beiden und der gesamte Aktivismus von PASUA wurden medial heftig diffamiert. Ganz allgemein wurde für das Silencing antikolonialer Bewegungen zur Zeit der Dekolonisierung neben dem lebendigen kolonialen Rassismus auch der tief verwurzelte Antikommunismus mobilisiert. In Westberlin organisierten der Afrikanische Studentenverbund (ASB) (hier war der Vorsitzende Adekunle Ajala zentral) und der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) 1966 Proteste gegen die Aufführung des extrem rassistischen Films „Africa Addio“ im Kino Astor am Ku’damm. In kolonialer Logik diffamierte der italienische, extrem brutale, blutrünstige Dokumentarfilm Afrikas Kämpfe der Dekolonisation und verbreitete das Bild, dass Afrika ohne Europäische Unterdrückung im Chaos versinkt. Von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) in Wiesbaden erhielt „Africa Addio“ das Prädikat „wertvoll“. Die Proteste gegen den rassistischen Charakter des Films haben eine große Öffentlichkeit erreicht, die Afrikanischen Studierenden riskierten ihren Aufenthaltsstatus. Aber was ist, wenn überhaupt, heute darüber zu lesen? Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) protestierte mit Fritz Teufel und Rudi Dutschke als Anführer gegen den Film – und ein paar Afrikaner waren auch dabei. Fatima El-Tayeb beschreibt das so treffend als aktives Vergessen der Mehrheitsgesellschaft. Sie hat das auch Rassismus-Amnesie genannt. Dieses aktive Verdrängen sorgt dafür, dass etwa die Bedeutung der Widerstände pan-afrikanischer Bewegungen afrikanischer Studierender und Lehrlinge grundsätzlich verunwichtigt und so aktiv vergessen wird. Es verändert den Blick auf heute, zu hören, dass es schon in den 1960er Jahren in Almanya und Österreich diese Radikalität an Kritik gegeben hat, die auch schon institutionalisierten Rassismus der Polizei, aber auch zum Beispiel in den Gewerkschaften, benannt und angegriffen hat. Diese mutigen, vielseitigen Kämpfe dieser Zeit heute zu unsilencen, aktiv immer wieder in unser kollektives Gedächtnis zurückzuholen, gesellschaftlich sichtbar zu machen, ist dringender Teil heutiger Widerstände.

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